Oft höre ich, dass die Märchen der Brüder Grimm aufgrund von Grausamkeiten nicht für Kinder geeignet wären. Ich kann mich nicht erinnern, wie alt ich war, als ich Märchen wie Hänsel und Gretel oder Rotkäppchen zum ersten Mal vorgelesen bekam. Aber geschadet haben mir die Geschichten nicht, soweit ich erkennen kann.
Jacob und Wilhelm Grimm dachten sich Märchen nicht selber aus, sondern sammelten sie aus schriftlichen und mündlichen Quellen. Die Stoffe wurden dabei an christliche Wertevorstellungen angepasst und entsexualisiert. Und als »Kindermärchen« waren sie zunächst gar nicht konzipiert.
In The Fairy Tellers (2022) schreibt der preisgekrönte britische Autor und Journalist Nicholas Jubber, dass von den 86 Märchen, die die Grimms 1812 zum ersten Mal veröffentlichten, mehr als 50 von Frauen unter 25 Jahren erzählt wurden. Diese jungen Frauen hatten teilweise recht heftige sexuelle oder gewalttätige Fantasien.
Die Urfassungen einiger Märchen, die von den Brüdern Grimm später überarbeitet und in ihre Sammlung aufgenommen wurden, kann man noch heute finden in Das Pentameron von Giambattista Basile aus dem siebzehnten Jahrhundert.
Im englischsprachigen Artikel Young women were the true originators of the Grimms’ Tales des Online-Magazins Psyche kann man lesen, dass es sich bei Erzählungen wie Rapunzel, Dornröschen, oder Aschenputtel wohl um dunkle erotische Fantasien junger Frauen handelte. Und wie waren ganz sicher nicht für Kinder geeignet!
So, hier ist noch ein sehr böser, lüsterner und gewalttätiger Felsen, dem ich nur knapp entkommen konnte. Wölfe, Jäger, Hexen und Frösche sind nicht die größte Gefahr, wenn man im Märchenwald herumläuft!
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